kolumnen
Virtuell
Hie und da hört man, wenn man in unserem Wohnzimmer steht, unsere Söhne, die miteinander spielen. Wobei das „miteinander“ relativ ist. Die hörbaren Sätze und Ausrufe beziehen sich zwar unverkennbar aufeinander, aber beide sitzen an ihren Computern, haben die Kopfhörer auf und kämpfen sich durch virtuelle Welten. Das Szenario hat etwas Surreales und ich muss immer darüber lachen. Ich könnte mich natürlich auch nerven und über die heutige Jugend lamentieren. Vielleicht sollte man das auch wirklich tun, damit die Jungen später das Gefühl haben, sie hätten eine wilde Jugend gehabt. Aber ich kann an der heutigen Jugend nun einmal nichts Schlimmes finden. Und was ich schon gar nicht kann, ist in das Schlechtmachen von Computern, Handys, Facebook und Co. mit einzustimmen.Kürzlich trafen sich in einem Zürcher Lokal zehn Leute zu einem fröhlichen Abend. Einer kam aus Solothurn, eine aus Holderbank, einer aus Rheinfelden, zwei aus Kloten und fünf aus Zürich. Zwei von den Anwesenden traf ich an diesem Abend zum ersten Mal, zwei kenne ich schon seit Jahren, 8 kenne ich nur dank Facebook. Wir haben uns irgendwann in einer virtuellen Diskussion gefunden, angefreundet, weitervernetzt – und dann wollten wir uns auch im richtigen Leben sehen. Daraus ist der so genannte IRL-Apéro entstanden. Eine Clique, zu der mittlerweile mehr als zwanzig Leute zählen. In wechselnden Besetzungen gehen wir einmal irgendwo essen, treffen uns ein andermal bei jemandem zu Hause, machen eine Wanderung oder ein Reisli. Was einem halt gerade so einfällt und das mit mehreren Leuten mehr Spass macht als allein oder zu zweit.
Wo ist da der Unterschied zur Mitgliedschaft in einem Trachtenverein oder einer Faustball-Mannschaft? Ausser dass die Tracht und der Ball fehlen, natürlich. Genau wie die Mannschaft fühlen wir uns dieser Gruppe zugehörig, schauen füreinander, lachen und feiern zusammen. Was die Gruppe zusammenhält ist einfach nicht das gemeinsame Training, sondern der elektronische Austausch. Von fast jedem IRL-Mitglied lese ich täglich was ihn oder sie beschäftigt, erhalte einen Musik- oder Filmtip oder einen Hinweis auf eine spannende Fernsehsendung. Letzteres allerdings äusserst selten, was aber nicht mit den Leuten sondern mit dem Fernsehen zu tun hat. Menschen mögen Menschen, Menschen brauchen Menschen. Die Kommunikationsmittel haben sich verändert, aber sonst: Alles beim alten.
