
kolumnen
Gefährliche Zeiten
Wir leben in einer gefährlichen Zeit.
Tage nach dem Terror-Anschlag in Paris war ich im Zug nach Hause unterwegs. Im Eingang standen zwei Frauen mit Kopftüchern und schwer bepackten Einkaufswagen. Neben mir im Abteil schauten sich zwei arabisch sprechende Männer gemeinsam auf einem Handy etwas an. Meine Phantasie galoppierte: Was war in den Einkaufswagen? Was schauen die Männer für Filmli? Mir wurde mulmig. Zuerst weil mir bewusst wurde, wie wahnsinnig einfach es wäre, hier, jetzt, in diesem Zug, einen Anschlag zu verüben, wenn man nur wollte. Und dann, weil ich angesichts unbescholtener aber fremdländischer Mitreisender auf solche Gedanken kam.
Wir leben in einer gefährlichen Zeit. Die Gefahr lauert aber nicht in dunklen Kellern oder in Weltgegenden, wo brutale Fanatiker das Sagen haben. Die Gefahr ist in uns. Sie besteht darin, dass wir uns abschotten. Oder zurückschlagen. Amerika tut beides: Kein Gütterli Shampoo kommt mehr im Handgepäck ins Land und schon gar kein Sackmesser. Es wird kontrolliert und überwacht, was das Zeug hält. Verfassungsmässige Rechte der Menschen gelten nichts mehr, nicht nur in Amerika.
Und in fernen Ländern wird zurückgeschlagen. Mit aller Gewalt. Und jetzt muss ich mal kurz biblisch werden: „Wer Wind sät, wird Sturm ernten“ heisst es im alten Testament. Der Westen bekämpft die Gewalt mit Gewalt. Unterstützt da ein Regime mit Geld, liefert dort Waffen oder greift selber ein, um den terroristischen Feind zu bekämpfen. Bloss: Irgendwann ändern sich die Verhältnisse und plötzlich richten sich die Waffen in die andere Richtung. Worauf wieder eine andere Seite unterstützt werden muss. So stehe ich jeweils ratlos vor der prekären politischen Weltlage und frage mich: Kann Frieden dauerhaft durch Gewalt erreicht werden?
Ich glaube, wir müssen jetzt unseren ganzen Mut zusammennehmen und weder mit Abschottung – Pegida ist so ein Mist! – noch mit Gewalt auf die Angriffe gegen unsere Kultur und unsere Gesellschaft reagieren. Wir müssen den Mut haben, nicht klein beizugeben, sondern weiterhin zur Offenheit und Toleranz in unserer Gesellschaft stehen. Damit verteidigen wir diese Werte am besten. Das heisst wir bleiben offen gegenüber fremden Menschen und fremden Kulturen und erwarten von ihnen dasselbe uns gegenüber. Ich hätte im Zug den Frauen mit den schweren Einkaufswagen beim Einsteigen helfen und die Männer beim absitzen freundlich anlächeln sollen. Den gefährlichen Zeiten zum Trotz.