
kolumnen
Poké-Nostalgie
Ich bin behindert. Von sich selber darf man das so sagen, oder? Behindert durch eine Umwelt, die nicht darauf gefasst ist, dass ich nicht richtig stehen, gehen oder das Knie biegen kann. Glücklicherweise wird diese Behinderung verschwinden. Jedenfalls wäre das der Plan. Aber ich habe in den letzten sechs Wochen nicht nur Schwielen von den Krücken bekommen, sondern auch reichlich neue Erfahrungen gemacht.
So finde ich ja meine frisch renovierte Dusche sehr schön. Dass aber der 12 cm hohe Rand, welcher die eigentliche Dusche abtrennt, zu einem Hindernis werden kann, zu dessen Überwindung ich die Krücken brauche, daran hatte ich vorher nie gedacht. Und was mache ich dann mit den Krücken in der Dusche? Mühsam. Dasselbe gilt für den Ausgang zum Sitzplatz. Es war jedes Mal eine längere Aktion, um vom Kafitassli bis zu mir selbst alles über die Schwelle zu hieven. Aber wenigstens kann man sich in der eigenen Wohnung mit der Zeit gut organisieren. Mein Indoor-Rollator wird jedenfalls auf immer einen Platz in meinem Herzen haben. Und alle möglichen Hauslieferdienste ebenso.
Geht man raus wird es schlimmer. Treppen sind eine Geduldprobe und Rampen verlängern die Strecke. Randsteine sind plötzlich hoch und warum zum Teufel gibt es so wenig Sitzbänke an meinem Weg? Meine theoretische Zustimmung zu einer sog. „Barrierefreien Umwelt“ hat sich in eine sehr praktische verwandelt. Ich erlebe aber auch tolle Sachen. Wann immer Zeit dafür war haben zum Beispiel die Buschauffeure gewartet, bis ich mich hingesetzt hatte, bevor sie wieder los fuhren. Der Wartebereich in der Physiotherapie ist ein kleiner Dorftreff, wo man Leuten begegnet, die man schon lange nicht mehr gesehen hat. Und einer der Söhne erbarmte sich sogar, mein Handy zu einem Pokéstop mitzunehmen. Merci!
He ja, man kommt auf verschiedene Ideen während einer Woche im Spital. Nur mal kurz aus Gwunder Pokémon Go runtergeladen und schon hatte mich das Spiel am Wickel, obwohl es ein übler Akkufresser ist und eigentlich nie etwas Spannendes passiert. Aber es ist reine Nostalgie: Der eine Sohn schlief jeweils mit einem überdimensionierten Pikachu im Bett, des anderen Lieblings-Plüschtier war eine Weile lang ein Quapuzi. Auch die anderen Pokémon-Namen sind mir sowas von vertraut. Die Jungs kannten sie damals alle und amüsierten sich, weil wir Eltern keinen Schimmer hatten. Jetzt amüsieren sie sich wieder: Leicht herablassend über die immer noch spielende Mutter, nachdem die jungen Erwachsenen den Pokémon-Hype bereits wieder langweilig finden. Sie haben ja Recht. Aber seit einer Woche bin ich die Krücken los! Lasst mich den freien Zugang zu allem noch etwas geniessen. Auch zum Pokéstop bei der Physio.