kolumnen
Vom Velo fliegen
Ich schaue mir die Fernsehsendung "Arena" nie an, weil es mich rasend macht, daheim zu sitzen und nichts sagen zu dürfen zu dem, was da am Bildschirm diskutiert wird. Wissen Sie, was noch schlimmer ist als das? Tatsächlich in der Arena zu sitzen und nichts sagen zu können, weil man einfach nicht drankommt! So geschehen am letzten Freitag. Und weil ich meine Weisheiten nicht im Fernsehen verzapfen durfte, kommen Sie, geschätzte Leserschaft, jetzt in diesen Genuss.
Der ganze Streit um die Finanzierung einer neuen schweizerischen Fluggesellschaft erinnert mich an ein Kind, das lernt, Velo zu fahren. Das Kind in diesem Bild ist die Wirtschaft und wenn man sich in Erinnerung ruft, wie die Wirtschaftsvertreter in der Arena darüber stritten, ob man eher mit der Swissair oder der Air India nach Dehli oder Kloten fliegen solle, fällt einem dieser Vergleich nicht schwer. Das Kind hat also einen Versuch mit dem Fahrrad unternommen und ist gewaltig auf die Schnauze gefallen, was man mit anderen Worten auch als Grounding bezeichnen könnte. Vater Staat hat ein Weilchen zugesehen wie das Kind am Boden strampelte und heulte, bis er zu Hilfe eilte und zuerst einmal das Fahrrad wieder einigermassen zurechtbog, das ein gewaltiges Achti im Rad hatte. Papa Staat konnte es sich daraufhin nicht leisten, das Kind noch ein paarmal auf- und unsanft wieder absteigen zu lassen, weil das Fahrrad dies nicht überlebt hätte. Also verpasste er dem Velo Stützredli - sprich nahm einen Haufen Geld in die Hand, um die schweizerische Luftfahrt wenigstens nicht sofort und nicht gänzlich sterben lassen zu müssen. Dem Kind passte das zwar gar nicht, lieber hätte es immer wieder ein neues Velo bekommen, aber der Papi ist halt finanziell nicht auf Rosen gebettet (woran das Kind nota bene nicht unschuldig ist).
Die Diskussionen der letzten Wochen haben etwas gezeigt, das man eigentlich schon lange weiss: Die Marktwirtschaft ist das beste System, das wir kennen, um möglichst viele Leute mit dem zu versorgen, was sie zum leben brauchen. Aber die Marktwirtschaft hat auch einige Tücken und Fehler, es gibt immer wieder Situationen, wo sie versagt. Und: Marktwirtschaft funktioniert nur, wenn der Staat für ein stabiles Umfeld sorgt, wozu zum Beispiel die Abwesenheit von Krieg gehört oder eine einigermassen gerechte Verteilung der Lasten. Seit Jahr und Tag wurde uns vorgebetet, die Marktwirtschaft sei unfehlbar und funktioniere um so besser, je weniger der Staat sich einmische. Wir haben spätestens jetzt und sehr bitter gelernt, dass dies in solcher Absolutheit nicht wahr ist. Die Interessen der Wirtschaft sind nicht immer genau dieselben wie die Interessen der Menschen und deshalb braucht es einen starken und handlungsfähigen Staat, der im Notfall, wenn das Kind vom Velo fällt, eingreifen kann. Nach einer Weile werden die Stützräder nicht mehr nötig sein und der verständige Vater wird sie gerne wieder abschrauben - wenn das Kind soweit ist.
Und noch ganz nebenbei und um wieder auf die Arena zurückzukommen: Der Boss der Economiesuisse (früher Vorort genannt) hat einerseits gepredigt, dass der Wirtschaftsstandort auf Direktverbindungen in alle Welt angewiesen sei und darum brauche es eine schweizerische Fluggesellschaft. Das kennen wir ja schon. Dann hat er aber gesagt, in die neue Airline könne nur investiert werden, wenn sie auch rentiere. Hoppla! Wenn sie nicht rentiert, sind die Direktverbindungen nicht mehr wichtig? Aber seien wir nachsichtig: Kinder finden manchmal eigenartige Argumentationswege, um zu bekommen was sie wollen.
