kolumnen
Die Badi-Wohlfühl-Strategie
Als Kind habe ich den Sommer praktisch in der Badi verbracht. Gespannt haben wir jeden Abend unsere Hände untersucht und waren davon überzeugt, dass uns nach und nach richtige Schwimmhäute wachsen würden. In die Badi gingen wir grundsätzlich ohne elterliche Begleitung, obwohl mein Vater über einen athletischen Körperbau verfügt und sich also nicht hätte schämen müssen. Leider habe ich den nicht von ihm geerbt. Darum wurde dann aus dem nass-sonnig-fröhlichen Badesommer ein immer zweifelhafteres Vergnügen. Als Teenager hörte ich hie und da, dass von "Babyspeck" die Rede war, wenn ich in der Nähe weilte. Dummerweise scheint mir, der Babyspeck sei direkt in den Nach-Schwangerschafts-Speck und dann in den Rauchen-aufhören-Speck übergegangen. Jedenfalls traf ich bei jedem Badi-Besuch Leute, die mit einem flacheren Bauch, schlankeren Beinen oder einer makelloseren Haut aufwarten konnten als ich. Schluss mit Badi! So würde nun eigentlich der Entscheid lauten, der den grössten Seelenfrieden bedeuten würde.
Aber meine Kinder? Können erst in die Badi, wenn sie gross genug sind um allein hinzugehen? Nur wegen meiner Eitelkeit? Nein, das wäre dann doch zu weit gegangen. Also weiterhin in die Badi. Das ist mit Kindern ein noch grösserer Spiessrutenlauf als ohne. Weil; mit den Kindern kann man ja nicht diskret auf dem Bauch liegend unauffällig das Geschehen verfolgen und bloss hie und da mit einem Tuch um die Hüften aufs WC gehen. Nein, man flitzt in regelmässigen Abständen über die Wiese ans Becken, um leckende Gummitiere aufzublasen, streitende Brüder zu trennen oder unfreiwillige Taucher zu trösten. Spätestens beim zweiten Mal lässt man in der Eile das kaschierende Tuch am Platz liegen…
Aber jetzt bin ich vierzig und es ist mir zu blöd geworden! Eine Badi-Wohlfühl-Strategie musste her. Kollegin C. kommt mir in den Sinn, die sich immer ärgert, wenn die Frauen um sie herum über ihre Figuren zu jammern anfangen. Schliesslich gebe es schlimmeres auf der Welt, meint sie dann jeweils, zum Beispiel ihre eigene Figur. Alles ist relativ, liebe C., und das machen wir uns jetzt zunutze: Dein Bauch ist dicker als meiner? Prima - für mich. Und du findest in der Badi garantiert jemanden, der umfangreicher ist als du, oder dickere Beine hat, oder noch besser - gar keine Kurven. Wenn nichts anderes hilft, schaue ich, ob die Leute ebenso nette Füsse oder schlanke Handgelenke haben wie ich. Etwas findet sich immer! Und ein selten versagender Trost für die nicht-dünne Frau: Wir haben einen Busen!
Mit dem derart aufpolierten Selbstvertrauen gelingt es einem nun auch, nicht mehr so verkrampft über die Wiese zu huschen, was natürlich grundsätzlich schon besser aussieht. Am Rand meines Weges denkt die eine "mein Gott, der Bauch wabbelt aber" und die andere "gute Güte, diese Cellulitis". Aber was macht das schon? Die Leute fühlen sich dadurch genauso gut wie ich - vermutlich haben sie diesen simplen Kniff auch schon viel früher rausgekriegt. Und den knackigen 16-Jährigen, die sich über die gereiften 40-Jährigen mokieren rufe ich fröhlich zu: Badi ahoi, auch ihr werdet älter!
