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kolumnen

Trübsal

Ich schaue aus dem Fenster, und alles sieht trüb aus. Ich schaue mich im Ratssaal des Kantonsrates um und alles sieht grau aus. "Du jammerst auf hohem Niveau", meinte letzte Woche ein Freund, nachdem ich ihm eine Weile die Ohren vollgejammert hatte, "dir geht es doch eigentlich gut". Ha, der hat leicht reden.

An Sylvester war ich zuversichtlich. Mein Horoskop prophezeite eine einzige Gefahr für dieses Jahr: Vor Wonne durchzudrehen. Noch nie war ein Horoskop so daneben! Seit Neujahr hatte ich schon so viel Ärger wie das ganze letzte Jahr nicht. Zu den unerfreulichen Ereignissen gehört auch die Tatsache, dass ich knapp nicht zur Präsidentin der Kantonsratsfraktion gewählt worden bin. Diese Niederlage verbindet mich jetzt zumindest ideell mit unserem Stadtpräsidenten. Weitere Verbindung würden wir wohl beide weit von uns weisen, nicht dass da Missverständnisse aufkommen.

Aber als ich ihn im Fernsehen seinem Konkurrenten zur Wahl in den Regierungsrat gratulieren sah, hat er mir leid getan. Wäre ich an seiner Stelle gewesen, ich hätte mich elend gefühlt. Es gibt zwar viele gescheite Texte zum Thema gewinnen und verlieren. Aber eigentlich ist ja allen klar: gewinnen ist schön, verlieren ist blöd. Wie es kommt, dass man es bei uns als Tugend betrachtet, wenn der Verlierer lächelnd dem Gewinner gratuliert, ganz egal wie hart der Kampf vorher war oder wie sympathisch einem der Gegner ist, wird mir immer ein Rätsel sein. Aber vielleicht fehlt mir da einfach noch die nötige Weisheit. Oder die nötige Distanz. Vermutlich sogar beides. Oder es liegt daran, dass ich kein Mann bin. Denen gelingt es scheinbar immer noch besser als den Frauen, ihre Gefühle zu verbergen. Dafür leben sie weniger lang. Ich halte es jedenfalls für natürlicher und gesünder, wenn man seiner Enttäuschung über die Niederlage Ausdruck verleihen kann oder wenn man zumindest nicht so tun muss, als würde einen die Niederlage kalt lassen.

Ein guter Verlierer zu sein, gilt als Auszeichnung. Ich bin ja deshalb versucht zu sagen, dann sollen doch die verlieren, die das richtig gut können und weil ich das nicht so gut kann, halte ich mich mehr an's Gewinnen. Das ist ja auch nicht nur einfach. Häme, Gönnerhaftigkeit oder Belehrungen sind auf Seite der Siegenden ebenso fehl am Platz wie Beleidigtheit und Schuldzuweisungen auf Seite der Verlierenden. Dumm nur, dass man sich das Siegen oder Verlieren üblicherweise nicht aussuchen kann.

Diesen Montag steht folgendes in meinem Blick-Horoskop: "Ihr Partner liebt sie unverändert". Mein eingangs erwähnter Freund hat ja recht, ich jammere auf hohem Niveau.

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