
kolumnen
Gescheites, secondhand
Gescheites, secondhandSeit ich ein Kind bin frage ich mich, ob in der Musik nicht irgendwann jede mögliche Notenkombination schon einmal komponiert sein wird und es deshalb keine neue Musik mehr geben kann. Und wie ist das mit den Gedanken? Gibt es Gedanken, die noch nie jemand gedacht hat? Ich finde es allerdings gut, dass man nicht immer alles selber denken muss. Grade wenn man über die Feiertage vor lauter schlemmen und feiern denkfaul geworden ist.
Insbesondere zwei Secondhand-Gedanken von gescheiten Leuten haben mir in letzter Zeit Trost gespendet. Und Trost ist nötig, wenn man eine Budgetdebatte hinter und die Verkehrsplanung vor sich hat. Drei Monate vor den Wahlen! Für das grosse Verkehrspalaver sind sage und schreibe elf Sitzungen des Kantonsrates innerhalb einer guten Woche angesagt.
„Toleranz ist der Verdacht, dass der andere Recht hat.“ Dieser Satz von Kurt Tucholsky ziert die Weihnachtskarte eines befreundeten Paares, beides herausragende Figuren der Zürcher Politik. Vielleicht aufgrund dieser Einsicht? Käme einem der Spruch nur öfter in den Sinn! Die politischen Diskussionen würden bestimmt lebhafter, wenn man die Argumente des Gegenübers nicht immer schon im voraus kennen würde - aus der Wahlbroschüre – sondern die Gedanken wie beim Ping-Pong hin und her gespielt werden könnten. Ich werde jedenfalls die Karte im Sinne eines guten Vorsatzes an prominenter Stelle im Büro platzieren.
Und dann eben die Wahlen: Im Kantonsrat und in unserer Fraktion ist die Vor-Wahlen-Nervosität überdeutlich spürbar und sie wird garantiert noch zunehmen. Mann und Frau balgt sich um die Möglichkeit von öffentlichen Auftritten, die Ellbogen werden ausgefahren, die Show wird wichtiger als die Sache. Noch nie habe ich das so ausgeprägt erlebt. Grund dafür dürfte das neue Zuteilungsverfahren sein, das der SP mit einiger Wahrscheinlichkeit Sitzverluste bringen wird. Ein wahrhafter Sesseltanz. Ist es da sehr böse, dass ich mich über den folgenden Gedanken von Oscar Wilde freute: „Ehrgeiz ist die letzte Zuflucht des Versagens“?
Das neue Jahr soll aber ohne Ärger beginnen, denn „das Ärgerliche am Ärger ist, dass man sich schadet, ohne anderen zu nützen“, sagte wiederum Herr Tucholsky.