Deko

kolumnen

Wir haben es gut!

Es herrschte Aufregung am Familientisch. Ein japanisches Fernsehteam wollte mich porträtieren. Sie hatten ein Buch über unser politisches System gelesen und wollten nun vor Ort sehen, wie das funktioniert. Sie haben mich einen Tag lang begleitet. Wir luden sie auch zum Znacht ein, obwohl meine Jungs fürchteten, ich würde das Weinglas umkippen oder etwas fallen lassen während den Dreharbeiten. „Weisch wie peinlich, wenn das jemand im Fernsehen sieht.“

„Frau Götsch, in Japan leben Politiker von ihrem Mandat sehr gut. So gut, dass man sie fast nicht mehr loswird. Wie ist das bei Ihnen?“ „Wir bekommen vielleicht 1'300 Franken pro Monat. Ausser es sind Ferien, dann gibt es nichts.“ „Kann man davon leben?“ „Nein, kann man nicht.“ Zum Glück fragen sie nicht, weshalb dann die AHV-Minimalrente nur 1'055 Franken beträgt. „Auch in Japan gibt es manchmal Volksabstimmungen. Aber die Politiker müssen sich nicht an das Ergebnis einer Abstimmung halten. Wie ist das in der Schweiz?“ „Das Volk hat das letzte Wort. Es würde gegen Verfassung und Gesetz verstossen, wenn sich danach Parlament und Regierung nicht an diese Beschlüsse halten würden.“ Das ist wirklich wahr. Man müsste sich mal genauer überlegen, woher eigentlich die Meinung kommt, dass „die in Bern oben“ machen, was sie wollen. Stammt das noch aus Patrizier-Zeiten?

Es ist Abend, wir sitzen am Tisch. „Bitte so tun als sei alles ganz normal“. „Nichts ist normal“, knurrt der Grosse. „Erstens gibt es nichts zu essen und zweitens hat Mama noch nichts ausgeleert“.

„Frau Götsch, in Japan versuchen Politiker, ihre Söhne zu ihren Nachfolgern zu machen, damit diese dann gut versorgt sind. Wie ist das bei Ihnen?“ Na ja, so frech wie die grad drauf sind, können sie eh selber sehen, wo sie bleiben. Ha! „Ich hoffe, dass meine Söhne von mir lernen, dass es wichtig ist, sich politisch zu beteiligen. Mehr kann ich ihnen aber nicht helfen. Alles andere würde unserem Verständnis von Demokratie massiv widersprechen.“ Die Japaner finden die Schweiz endgültig Spitze! Und ich selber bin auch wieder mal sehr stolz auf uns.

Die Gäste schreiben den Kindern ihre Namen in japanischen Schriftzeichen, lassen sie die Kamera ausprobieren, erzählen von den eigenen Kindern, greifen kräftig zu bei den Älplermagronen und mögen den Chianti. Als dann nach 22 Uhr mein Glas tatsächlich einer heftigen Geste zum Opfer fällt, ist zum Glück die Kamera längst versorgt.

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